Papst Pius XII unterstützte ein geeintes Europa auf christlicher Grundlage
Wie bereits in dem Beitrag ‚Kalergi-Plan und die Idee von Paneuropa‘ berichtet, hatte Pius XII. anscheinend den Plan zur Errichtung eines katholischen europäischen Blocks von Portugal bis Polen favorisiert. Denn seine besondere Sorge galt der Einheit Europas. In ihrem Buch ‚A Twentieth Century Crusade‘ beschreibt Giuliana Chamedes, dass die Kirchenpolitik von Benedikt XV. bis Pius XII. von der Utopie eines katholischen Abendlands geleitet wurde, das vor dem Kommunismus verteidigt werden musste. [Giuliana Chamedes, A Twentieth Century Crusade. The Battle to Remake Christian Europe, Cambridge MA 2019.] (Quelle: https://www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-112847)
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Zum ersten Mal rief Pius XII. am 2. Juni 1948 im Anschluss an die Haager Konferenz, an der auch ein päpstlicher Vertreter teilnahm, zu einer „Europäischen Union“ auf. Am Waffenstillstandstag desselben Jahres betonte der Papst die Dringlichkeit der Situation:
„Dass die Schaffung einer Europäischen Union mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, wird niemand bestreiten. … Aber es ist keine Zeit zu verlieren. Wenn diese Union wirklich ihren Zweck erfüllen soll, wenn sie der Sache der europäischen Freiheit und Eintracht, der Sache des wirtschaftlichen und politischen Friedens zwischen den Kontinenten zum Vorteil gereichen soll, dann ist es höchste Zeit, sie zu gründen.“
(Quelle: Pius XII., „Ansprache an die Europäische Union der Föderalisten“, zitiert in Edward A. Conway, „Catholics and World Federation“, America, Vol. 80 (4. Dezember 1948), S. 233.)
Seine Ansprachen zielten in erster Linie darauf ab, Europa an seine Schuld gegenüber dem Christentum als Quelle seiner Ideale und Werte zu erinnern und es zu ermutigen, ein geeintes Europa mit der Kirche in seinem Zentrum zu schaffen. In einer erstaunlichen Rede vor einer Gruppe des Europakollegs im Jahr 1953 brachte der Papst seinen Wunsch deutlich zum Ausdruck:
„Über seine wirtschaftlichen und politischen Ziele hinaus muss ein vereintes Europa es sich zur Aufgabe machen, die geistigen Werte zu bekräftigen und zu verteidigen, die einst die Grundlage und die Stütze seiner Existenz bildeten, Werte, die es einst berufen war, anderen Völkern in anderen Teilen der Welt zu vermitteln, Werte, die es heute in einer schmerzhaften Anstrengung zur Rettung seiner selbst wieder suchen muss. Wir sprechen vom wahren christlichen Glauben, der Grundlage der Zivilisation und Kultur, die Europa und auch allen anderen Völkern eigen ist. Wir sagen dies in aller Deutlichkeit, weil Wir befürchten, dass Europa ohne ihn nicht die innere Kraft hat, die Integrität seiner Ideale oder seine territoriale und materielle Unabhängigkeit gegenüber mächtigeren Gegnern zu bewahren.“
(Quelle: Pius XII., „Die Einheit Europas: Eine Ansprache Seiner Heiligkeit bei einer Audienz, die einer Gruppe von Professoren und Studenten des Europakollegs in Brügge, Belgien, am 15. März 1953 gewährt wurde“, The Catholic Mind, Bd. 51, September 1953, S. 560)
Im Jahr 1957 forderte er den Europakongress auf, für Europa „ein irdisches Haus zu errichten, das eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Reich Gottes hat. …“ Er machte auch den Katholiken in Europa unmissverständlich klar, dass es ihre Aufgabe sei, die Integration Europas auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen. In seiner Ansprache vom Juni 1948, in der er zur europäischen Einigung aufrief, sagte er:
„Wir zweifeln auch nicht daran, dass Unsere gläubigen Kinder erkennen werden, dass sie immer an der Seite jener großzügigen Seelen stehen, die den Weg zur gegenseitigen Verständigung und zur Wiederherstellung eines aufrichtigen Geistes des Friedens unter den Völkern bereiten“.
(Quelle: Pius XII., „Ansprache an die Europäische Union der Föderalisten“, zitiert in a.a.O., S. 234)
Anmerkung: Die Informationen in diesem Artikel der Autoren Nelson und Guth sind hier auszugsweise wiedergegeben. Ausführlicher sind sie in ihrem Buch ‚Religion and the Struggle for European Union‘ – https://www.amazon.de/Religion-Struggle-European-Union-Confessional/dp/1626160708) nachzulesen.
Pius XII. und der Gedanke der europäischen Einigung
Eine Quelle zum Thema ‚Pius XII. und der Gedanke der europäischen Einigung‘ findet sich auf researchgate.net. Emilia Hrabovec ist eine slovakische Professorin und Leiterin der Abteilung für christliche Philosophie und Geschichtswissenschaften. In ihrem Artikel sind wichtige Informationen zur Haltung von Pius XII. zur europäischen Einigung, die über die Informationen von Nelson und Guth hinausgehen.
Sie schreibt ebenfalls über die Haltung von Pius XII., dass er die Idee der Einigung Europas unterstützte, aber die Europäer an die Grundsätze erinnerte, um ein gerechtes und dauerhaft europäisches Zusammenleben zu gewährleisten. Auch war Pius XII. überzeugt,
„dass Europa kein Superstaat sein sollte, der die nationalen Kulturen missachtet, sondern eine Synthese nationaler Identitäten und transnationaler Solidarität, die nicht auf dem Zusammentreffen wirtschaftlicher oder politischer Interessen, sondern auf der Einheit des christlichen Geistes beruht.“
Für den Papst war es wichtig, die im Entstehen begriffene Idee der europäischen Einheit mit christlichen Inhalten zu füllen und sie auf das „unumstößliche und unveränderliche Fundament des moralischen Rechts, das der Schöpfer durch das Naturrecht offenbart hat “, als einzige Grundlage für ihr Überleben zu stellen.
Pius XII. und das Europa der Nachkriegszeit
In seiner Antrittsenzyklika ‚Summi pontificatus‘ hatte Pius XII. betont, dass die tiefste Wurzel des Übels in der modernen Gesellschaft im Abfall des Menschen von Gott und in der Verweigerung einer universalen moralischen Norm liege. Damit ist den Nährboden für drei wesentliche subversive Kräfte geschaffen:
- Nationale und staatliche Eitelkeit;
- der Liberalismus, der mit Hilfe einer laizistischen Kultur und eines säkularisierten Humanismus eine Einheit ohne und gegen die Kirche schaffen will;
- und der Totalitarismus, Kind und Feind des Liberalismus, der „den Menschen zu einem Spielball in einem politischen Spiel, zu einer Zahl in einem wirtschaftlichen Kalkül reduziert“.
Pius XII. davon überzeugt,
„dass der Ausweg aus dieser Sackgasse aus beispielloser Gewalt, Uneinigkeit und Unsicherheit nur durch eine Rückkehr zum Christentum, das die europäische Zivilisation geprägt hatte, sowie durch eine grundlegende Umgestaltung der europäischen Ordnung auf christlicher Grundlage gefunden werden konnte.“
Für Pius XII. war das Konzept der christlichen Zivilisation ein Eckpfeiler seines päpstlichen Denkens über ein „neues und besseres Europa“.
Die Merkmale dieses „neuen Europas“ waren die Achtung des göttlichen und des natürlichen Rechts, die Unantastbarkeit der menschlichen Person, die universelle Gleichheit der Rechte, einschließlich des Rechts auf ein unabhängiges Leben und die eigene Identität sowie der Traditionen für alle Nationen, die Freiheit in ihrer ethischen und sozialen Dimension, die Solidarität und die Befreiung der Rechtssysteme von der Starrheit des Rechtspositivismus und ihre Verankerung im Naturrecht.
„Eine auf der Erfüllung dieser Forderungen beruhende Ordnung sollte die Voraussetzungen für einen sicheren und dauerhaften Frieden in Gerechtigkeit und für eine europäische Einheit als harmonische, in die gemeinsame christliche Identität eingebettete Völkergemeinschaft schaffen, die in der Lage ist, Gegensätze zu versöhnen und eine Synthese aus national-patriotischem Denken und gegenseitiger Solidarität zu schaffen. Das Endziel dieser Vision war die praktische Umsetzung der katholischen Soziallehre als realistische Alternative zu politischen Ordnungen, die ohne oder gegen Gott konzipiert wurden.“ (Quelle: Emilia Hrabovec)
Die Nachkriegsentwicklung war für den Papst eine tiefe Enttäuschung
Der Vatikan war an der Aufrechterhaltung des Status quo bei Kriegsende interessiert. Die Demokratisierung Westdeutschlands wurde als Chance für ein katholisches Abendland gesehen. Den beginnenden Kalten Krieg sah Pius XII. zwar als Bedrohung an, doch hoffte er auch, dass die katholische Kirche ihren Einfluss vergrößern könne.
Doch war die päpstliche Vision eines „neuen Europas“ letztendlich nicht durchführbar. Denn nicht nur die Vorherrschaft des materialistischen Geistes und des nationalen und sozialen Dünkels sowie anderer politischer Faktoren machten die Pläne des Papstes zunichte. Es war die Spaltung des europäischen Kontinentes in zwei politisch-ideologische Blöcke unter dem Einfluss zweier siegreicher Großmächte, die dem Papst besondere Sorge machte. Die Entstehung des Eisernen Vorhanges machte die Pläne des Papstes endgültig zunichte.
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Der Eiserne Vorhang gemäß Churchills Rede 1946 und militärische Verträge im Kalten Krieg
Da gab es die USA, eine ferne außereuropäische Macht, die von einer liberalen protestantischen Laienkultur beherrscht wurde, die ein schwieriges Verhältnis zum Katholizismus hatte. Im Osten errichtete die bolschewistische Sowjetunion in ihrem durch den Krieg entstandenen europäischen Einflussbereich einen Block von Satellitenstaaten. Auch in diesen Satellitenstaaten wurde das bolschewistische System eingeführt. Eine schwere Verfolgung von Dissidenten und angeblichen Staatsfeinden, insbesondere auch von Katholiken, wurde in ihrem Einflussbereich entfesselt.
Die Warnungen des Papstes bezüglich des Kommunismus
Emilia Hrabovec schreibt:
Im Geiste seiner „eschatologischen“ Geschichtsdeutung betrachtete Pius XII. die Ausbreitung des Kommunismus als tödliche Gefahr für die christliche Zivilisation und den Kampf gegen ihn als apokalyptische Konfrontation mit einem Übel, das „in sich falsch“ sei und mit dem es keine Verheißung geben könne. Während des Krieges warnten der Papst und seine Diplomaten die westlichen Alliierten immer wieder davor, dass ihr Bündnis mit der Sowjetunion dazu führen würde, einen größeren Teil Europas der Ausbreitung des Kommunismus zu opfern.
Diese Warnungen spiegeln auch die diplomatisch-politischen Aktivitäten von Politikern aus Mittelosteuropa wider, von Litauen und Polen bis zur Slowakei, Ungarn und Kroatien, die in dem verzweifelten Bemühen, die Ausbreitung des Kommunismus in ihren Ländern zu verhindern und ihre Unabhängigkeit zu bewahren, über einen möglichen „katholischen Block“ oder eine Konföderation im „katholischen Gürtel“ in Mittelosteuropa nachdachten und den Papst baten, bei den Westalliierten in ihrem Namen zu intervenieren.
Bestrebungen eines katholischen Staatenblocks
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Bestrebungen zur Bildung einer „katholischen Barriere“ im heiklen historischen Raum zwischen Deutschland und dem Osten im eigentlichen Sinne, der zu den entscheidenden katholischen Regionen in Europa gehörte, konnten auf die Unterstützung des Papstes zählen, nicht anders als Überlegungen zur Idee eines „katholischen lateinischen Blocks“ um Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, die in der Zwischenkriegszeit im Vatikan diskutiert und mit der Idee des Abendlandes und der englischen Renaissancebewegung verknüpft worden waren.
Eine solche Verwirklichung scheiterte jedoch an der Politik der „bedingungslosen Kapitulation“ und den Vereinbarungen von Jalta über die Aufteilung der Einflusssphären, die jede alternative Planung einer Nachkriegsordnung unmöglich machten. Die geteilte und erschöpfte Alte Welt verlor ihre Identität und ihre Stimme auf der internationalen Bühne, und die traurige Vorhersage von Papst Benedikt XV. aus der Zeit des Ersten Weltkriegs über den „Selbstmord Europas “ schien sich zu erfüllen.
Die Realität des Kalten Krieges drängte Pius XII. näher an den Westen
Die Realität des Kalten Krieges drängte ihn näher an den Westen. Folglich begrüßte der Papst die Truman-Doktrin der „Eindämmung“ und den Marshall-Plan der Wirtschaftshilfe für Westeuropa, der an die Bedingung der Einrichtung einer europäischen Zusammenarbeit gebunden war, in der Hoffnung, dass dies Westeuropa helfen würde, sich von der wirtschaftlichen und geistigen Misere der Nachkriegszeit zu erholen und eine weitere Ausbreitung des Kommunismus zu verhindern.
Trotz seiner antikommunistischen Haltung und einer gewissen Interessenkonvergenz mit den USA, die sich aus der Logik des Kalten Krieges ergab, sah sich der Papst nie als Soldat eines westlichen antisowjetischen „Kreuzzuges“, für den ihn Präsident Truman zu gewinnen versuchte, er litt unter kommunistischen Anschuldigungen, mit den Angelsachsen „verbunden“ zu sein und eine Allianz „zwischen Christus und dem Dollar“ zu propagieren und zum Krieg aufzurufen, und zögerte auch in der radikalsten Phase des Kalten Krieges nicht, sich von beiden Blöcken zu distanzieren, da er überzeugt war, dass keiner von beiden die christliche Ordnung als notwendige Voraussetzung für einen gerechten und dauerhaften Frieden verwirklicht hatte. Am Heiligabend 1947 drückte der Papst dies klar aus:
Unsere Position zwischen den beiden gegnerischen Fraktionen beruht weder auf einem Vorurteil noch auf einer Vorliebe für die eine oder andere Nation oder für die eine oder andere Gruppe von Nationen, und sie wird auch nicht durch die Entwicklung der Ereignisse beeinflusst. Mit Christus oder gegen Christus sein, das ist die einzige Frage.
Die Hoffnung des Papstes auf Versöhnung der ehemaligen Feinde
Unter diesen gegebenen Umständen des Eisernen Vorhanges und des Kalten Krieges war es das „kleine karolingische Europa“ mit seinem Kern in Deutschland, Italien und Frankreich. Intensive Bemühungen der Pacellianischen Diplomatie, es auf Spanien auszuweiten, scheiterten.
Die Hoffnung des Papstes bestand nun darin, dass diese ehemaligen Feinde sich versöhnen und ihre geistigen und moralischen Kräfte wieder stärken können, um Frieden, Stabilität und Wohlstand zu garantieren, gleichzeitig aber auch ihre historische Berufung als Hüterin und Verbreiterin der christlichen Zivilisation in der Welt wiederzuentdecken. Damit sollten sie zwei großen Gefahren widerstehen: dem sich ausbreitenden Kommunismus und der eigenen Säkularisierung.
Der Papst verfolgte insbesondere die deutsche Frage mit besonderer Aufmerksamkeit, da er von ihrer entscheidenden Bedeutung für den Frieden und die Stabilität in Europa überzeugt war. Er war sich jedoch bewusst, dass diese zentrale Frage des Wiederaufbaus nach dem Krieg in Ermangelung eines Friedensvertrags und eines Konsenses der Siegermächte sowie in Anbetracht der anhaltenden Ängste vor einem Wiedererstarken Deutschlands nur durch die Einbindung in transnationale europäische Strukturen gelöst werden konnte. (Quelle: Emilia Hrabovec)
Pius XII. rief 1947 den hl. Benedikt von Nursia als Vater Europas aus
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Emilia Hrabovic erinnert an die Enzyklika ‚Fulgens radiatur‘ des Papstes zum 1400. Todestag des heiligen Benedikt von Nursia:
Dieses katholische Modell der europäischen Idee erhielt eine starke religiöse Symbolik, als Pius XII. 1947 anlässlich des 1400. Todestages des heiligen Benedikt in seiner ersten spezifisch „europäischen“ Enzyklika Fulgens radiatur diesen als „Vater Europas“ ausrief, der die Romanität und das Evangelium verband und die jungen und wilden europäischen Völker durch „Kreuz, Buch und Pflug“ unter dem Banner Christi vereinte und der europäischen Gemeinschaft ihre spezifischen Merkmale verlieh. Dies war keine romantische historische Reminiszenz, sondern eine realistische Zukunftsvision mit einer klaren Botschaft: Wie vierzehn Jahrhunderte zuvor stand Europa erneut an einem Wendepunkt seiner Geschichte und würde nur überleben, wenn es ihm gelänge, „das Band zwischen Religion und europäischer Zivilisation“ wiederherzustellen.
Die Diagnose des Papstes zum Zustand Europas war radikal. Immer wieder erinnerte er an den ‚furchtbaren Ernst der gegenwärtigen Zeit‘. Gleichzeitig verwies er auf historische Persönlichkeiten, die an den Wendepunkten der Geschichte gelebt haben
und durch ihr Beispiel den Weg aus tiefen Zivilisationskrisen gewiesen hatten, wie der hl. Augustinus, „der die Welt, die er so sehr liebte, untergehen sah“, aber in der Kirche und ihrer universellen Botschaft die Kraft fand, an die Ankunft neuer Zeiten zu glauben, oder der bereits erwähnte heilige Benedikt, oder auf historische Momente der „Verteidigung der christlichen Zivilisation“ wie die Schlacht gegen die osmanische Flotte bei Lepanto, zeigten, wie tief der Papst den Scheideweg, an dem Europa stand, wahrnahm und wie radikal seine Diagnose war: Europa wird entweder von Natur aus christlich sein, oder es wird gar nicht sein und dem Feuer zum Opfer fallen, das eine materialistische Kultur hervorruft, für die nur Massen und physische Gewalt zählen.
Die europäischen Bewegungen zur europäischen Einheit waren gespalten
Die europäischen Initiativen, die nach dem Krieg im Zeichen der europäischen Bewegung entstanden, waren programmatisch heterogen. So gab es die Unionisten, die für eine von Regierungen und Parlamenten verwaltete europäische Annäherung unter Wahrung der Souveränität der Nationalstaaten eintraten, und die Föderalisten, die für einen europäischen Superstaat eintraten.
Darüber hinaus bezogen viele der Anhänger der Bewegung keinen Standpunkt auf christlicher Grundlage. Unter den Teilnehmern des ersten Kongresses der Europäischen Föderalistischen Bewegung, der im Mai 1948 in Den Haag stattfand, waren nicht nur Politiker mit christlichem Profil wie Alcide De Gasperi, Konrad Adenauer oder Robert Schuman, sondern auch britische Konservative wie Winston Churchill oder sein Schwiegersohn Duncan Sandys, Föderalisten mit marxistischer Überzeugung wie Altiero Spinelli oder der ehemalige Führer des französischen Front Populaire, eines Bündnisses linker Bewegungen, zu denen 1936 auch die Kommunisten gehörten, Léon Blum, oder Politiker, die ältere europäische Ideen aufgriffen, die im laizistischen Humanismus oder in freimaurerischen Auffassungen wurzelten, die dem katholischen Denken widersprachen.
Dennoch wollte sich der Papst nicht aus diesem Chor ausschließen lassen und schickte seinen Vertreter zum Kongress, den apostolischen Internuncio in den Niederlanden Paolo Giobbe.
Die alten, untergehenden europäischen Eliten könnten diese Rolle nicht mehr erfüllen, schon gar nicht die amorphe, entwurzelte und manipulierbare Masse, die der gefährlichste Feind echter Demokratie und Freiheit sei. Nur Angehörige bewusster Nationen, Männer und Frauen, die die Ordnung und den Frieden respektierten, in glücklichen Familien lebten und fruchtbare Arbeit leisteten, konnten als dauerhafte Stütze des europäischen Wiederaufbaus angesehen werden, solange er ihnen Achtung und Schutz bot.
Für Pius XII. waren es die konkreten Schritte legitimer politischer Vertreter der europäischen Staaten, die im Zeichen des Kalten Krieges und der ungelösten deutschen Frage nach einem Weg suchten, die gegenseitige Zusammenarbeit in partiellen, aber entscheidenden politischen und wirtschaftlichen Bereichen auf der Grundlage von Gleichgewicht und Gerechtigkeit zu sichern und so der Logik der Gegenpositionierung zwischen Siegern und Besiegten und der Erneuerung des fatalen „Geistes von Versailles“ zu entgehen. Pius XII. begrüßte das Ergebnis dieser Bemühungen – die Entstehung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahr 1951 – mit unverhohlener Begeisterung und bezeichnete die Römischen Verträge von 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als das wichtigste politische Ereignis in der modernen Geschichte Roms.
Die Grundprinzipien für eine europäische Vereinigung nach Pius XII.
Der Papst präzisierte zwar nie seine politischen Vorstellungen einer europäischen Einheit, definierte aber die Grundprinzipien, auf denen die Einheit beruhen sollte:
1. Der Papst bezweifelte nicht, dass das europäische Zusammenleben von den Staaten die Aufgabe eines Teils ihrer Souveränitätsrechte zugunsten des Gemeinwohls verlangen würde. Dennoch forderte er nie die Abschaffung der Einzelstaaten zugunsten eines transnationalen Gebildes, sondern plädierte im Gegenteil für die Notwendigkeit einer realen und wirksamen staatlichen Autorität, die nur durch die göttlichen Gebote und die gegenseitige Solidarität begrenzt sei. Ebenso lehnte er jede Missachtung der natürlichen Gemeinschaft einer Nation mit ihrer besonderen Identität und ihrem geschichtlichen Erbe ab. Das Ideal des Papstes war daher eine harmonische Synthese zwischen den Rechten und der Identität der Nationen und einer supranationalen Solidarität, die die Vielfalt der einzelnen Stimmen in eine „großartige klassische Polyphonie“ integriert.
2. Die europäische Gemeinschaft dürfe nicht auf reine wirtschaftliche oder militärische Interessen reduziert werden, sondern müsse ein gemeinsames, im Christentum verwurzeltes geistiges Fundament haben, aus dem erst ein „europäischer Geist“ entstehen könne, d. h. das Bewusstsein gemeinsamer geistiger Werte und der Wille zu einem gemeinsamen Leben und zu Opfern, die die Solidarität erfordere.
3. Eine große Idee, die in der Lage ist, die europäischen Nationen zu vereinen, könne nicht aus einer negativen Motivation, d. h. aus der Angst vor Konflikten oder der Ablehnung „der Lebensformen jener anderen Gruppe“ (d.h. des Sowjetblocks) Kraft schöpfen. Der Papst lehnte ein reduktives Verständnis der westlichen Gemeinschaft gerade im Hinblick auf die Gegenpositionierung zum Kommunismus und zum Sowjetblock ab und differenzierte stets zwischen dem kommunistischen System als solchem und Russland und den anderen Nationen hinter dem Eisernen Vorhang, die nicht Feinde des christlichen Europas, sondern Opfer des kommunistischen Systems waren.
Die vatikanische Tageszeitung „L’Osservatore Romano“ plädierte in ihrem Kommentar zum Kongress in Den Haag für eine westeuropäische Union, aber nicht als Gegner des Ostens, sondern als Ausgangspunkt für eine zukünftige Fusion mit der östlichen Union. In einem Brief an den amerikanischen Präsidenten Harry Truman vom Juli 1948 betonte der Papst, dass „die Stabilität und das friedliche Gedeihen des nicht-russischen Europas ein eigenes Ziel sei, nicht ein Instrument, um die Macht des modernen Russlands zu begrenzen“, und dass „was auch immer mit Russland geschehen mag, das Wohlergehen der Menschheit erfordert, dass Europa auf einer starken und gesunden Grundlage steht“.
Anstelle eines negativ motivierten europäischen Gedankens forderte der Papst eine positive einende Kraft, die er in den „geistigen und moralischen Ideen, die seit Jahrhunderten zum Erbe des christlichen Europas gehören“, sah: in der Freiheit, die das Gemeinwohl achtet, und im Naturrecht als Fundament jedes Staatsaufbaus. Nur ein auf solchen Grundlagen aufgebautes Europa könne „in der Konfrontation mit der ungerechten, aber starken“ kommunistischen Vision überleben, die ihr Ideal vom „Paradies auf Erden“ durchsetze.
In seinem Denken gab es also eine starke Gegenposition zum Kommunismus und eine starke Überzeugung von der Notwendigkeit, sich der kommunistischen Gefahr zu stellen, sowie die Ablehnung marxistischer Ideen, ob sie nun von außen, d. h. aus dem Sowjetblock, oder von innen, aus den marxistischen Kreisen im Westen, kamen, und als Aufforderung, sie durch das christliche Erbe als die wahre europäische Identität zu ersetzen.
Alle obigen Texte stammen aus dem Artikel von Emilia Hrabovec ‚Pius XII. und die Idee einer europäischen Einigung‘
Der erste Teil über die Vision eines geeinten Europas: Katholische Vision einer Europäischen Union