Vermischtes

Das Chasaren-Märchen für Israelhasser

Das Chasaren-Märchen als Beleg für nicht-semitische Juden?

In der Debatte um das Vorgehen Israels gegen die Hamas im Gazastreifen taucht wiederholt das ausgestorbene Volk der Chasaren auf, das sich – angeblich – vollkommen zum jüdischen Glauben bekehrt hat und nun zu 90 % Israel bevölkert. Da sie keine Semiten seien, so wird argumentiert, hätten sie auch kein angestammtes Anrecht auf einen Staat in Palästina. Peter Haisenko geht in einem Beitrag so weit vorzuschlagen, daß die Ukraine doch ein neuer Staat Israel sein könnte. Immerhin kämen ihre Ahnen, die Chasaren, ja von dort. Dieses Chasaren-Märchen als Beleg für nicht-semitische Juden in Israel hat natürlich erhebliche Folgen in der Einschätzung, ob Israel ein Daseinsrecht in Palästina hat.

Die Chasaren und der Ukrainekrieg

Mit der russischen Invasion der Ukraine bekam das Chasaren-Märchen wieder eine neue Aktualität. Die Judenhasser nutzen diese pseudowissenschaftliche Erklärung, um die Juden als ‚Chasaren-Mafia‘ für den Krieg um die Ukraine verantwortlich zu machen. Diese ‚Chasaren-Mafia‘ steuere beide Seiten des Krieges, da sie die direkten Nachfolger der zum Judentum konvertierten Chasaren seien.

Antisemitische Karikatur zum Krieg um die UkraineBildquelle: remidBild: [Antisemitische Karikatur, „Hinter der russischen/ukrainischen Maske strebt der Jude nach Konflikt“]

Im April 2022 wurde dieses Bild auf der russischen Social Media-Plattform vk verbreitet. Es zeigt antisemitische Karikaturen von Juden mit russischer und ukrainischer Maske, sowie die russische und ukrainische Flagge mit Davidstern im Zentrum, der israelischen Flagge nachempfunden. Sowohl Russland als auch die Ukraine sollen demnach heimlich jüdische Staaten sein. Der aktuelle Konflikt sei nur ein weiteres Komplott der Juden. In russischsprachigen Telegram-Kanälen heißt es dann: „Die Ukraine ist die Heimatstätte und letzte Bastion der Chasarenmafia, die den Deep State der Welt kontrolliert“ und „Die Rothschild-Chasarenmafia […] kontrolliert das Bankwesen, […], das Parlament, die Massenmedien“. (Quelle: Die seltsame Verschwörungstheorie der chasarischen Juden)

Die Judenhasser setzen auf eine vermeintlich realwissenschaftliche Erkenntnis, die in dem Chasaren-Märchen zu finden sei. Tatsächlich spekulieren Wissenschaftler und Israelhasser über die Frage, ob die heutigen Juden, bekannt als Aschkenasim, Nachfahren der Chasaren sind. Wurde also aus dem heidnischen Volk der Chasaren ein jüdisches Volk? Diesem Wunder der Verwandlung werden wir möglichst genau nachgehen.

Woher stammen die Hebräer?

Peter Haisenko hat sich in seinem Buch, aus dem wir ein Kapitel für den Beitrag „Israelkritik und Judenfeindlichkeit“ übernehmen durften, gleich zu Anfang auf S. 28 leider einen groben Schnitzer geleistet. Er greift auf einen Artikel aus der esoterisch-braunen Zeitschrift ‚ZeitenSchrift‘ (Nr. 10) zurück. Der Artikel trägt den Titel „Spurensuche im Wüstensand. Vom Ursprung der Hebräer und weshalb die heidnischen Khasaren, ein Hunnenvolk, zu den eigentlichen Stammvätern der heutigen Juden wurden“.

Darin heißt es:

„Vor ungefähr 5.000 Jahren zog ein wild zusammengewürfelter Haufen arabischer Herkunft unter seinem Führer Habr von einem Gebiet los, das ungefähr dem heutigen Jemen entspricht. Sie überquerten das Rote Meer nach Äthiopien und wurden bald nach ihrem Führer „Hebräer“ genannt. Sie zogen weiter und ließen sich im Gebiet des heutigen Uganda nieder. Die Umstände wollten es, daß die Hebräer einen Konflikt mit den Ägyptern hatten. Es kam zum Krieg und die siegreichen Ägypter versklavten die Hebräer, wie es damals so üblich war. Dann kam die Geschichte mit Moses, die allgemein bekannt ist. Das ist der Ursprung der arabischen, also semitischen Juden. Sie werden auch als ’sephardische‘ Juden bezeichnet.“

Man muss entweder keine Ahnung von der jüdischen Geschichte haben, um diesen Unsinn zu glauben, oder aus Böswilligkeit die Herkunft der Juden so darstellen, wie dies in der Zeitschrift geschieht, um seinen rechtsesoterischen Müll an die Leser weiterzugeben. Für das Chasaren-Märchen wird als Beweis die jüdische Enzyklopädie von 1906 herangezogen. Dort soll die Behauptung zu finden sein, daß das gesamte Volk der Chasaren zum Judentum übergetreten sei.

Bei einer esoterisch-braunen Zeitschrift, welche auch solche absurden Konzepte wie eine flache Erde oder humanoide Echsen verbreitet, ist Misstrauen mehr als angebracht. Der Artikel über die angebliche Herkunft der Aschkenasim aus dem Chasarenvolk macht deshalb eine Recherche notwendig, die der Behauptung auf den Grund geht.

Die weltanschauliche Ausrichtung der Zeitschrift ‚ZeitenSchrift‘

Bei Wikipedia lesen wir dazu: „Die ‚ZeitenSchrift‘ ist ein seit 1993 vierteljährlich mit Hauptvertriebsgebiet Deutschland, Schweiz und Österreich erscheinendes rechtsesoterisches Magazin mit den Schwerpunktthemen Spiritualität, Bewusstsein, Natur, Gesundheit, Ernährung und Ökologie. Herausgeber und Redakteure sind die Schweizer Journalisten Ursula und Benjamin Seiler-Spielmann. Die Auflage liegt nach Angabe des Verlags bei 13.000 Exemplaren.

Tobias Jaecker, Autor des Buches ‚Antisemitische Verschwörungstheorien nach dem 11. September‘, ordnet die weltanschauliche Ausrichtung der ‚ZeitenSchrift‘ als esoterisch-rechtsextremistisch ein. Der Historiker Stefan Meining bezeichnete das Blatt 2002 in einem Vortrag auf einem Symposium des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz als „das seit Jahren wohl wichtigste publizistische Sprachrohr der deutschsprachigen Rechtsesoterik“. Eine Publikation der Landesjugendbehörde der Stadt Hamburg sieht das Blatt im engeren Umfeld der theosophischen „Universalen Kirche“ und berichtet, daß die Herausgeber der ‚ZeitenSchrift‘ wegen des Abdrucks eines Interviews mit Peter Leach-Lewis im Heft 13/97, dem „Patriarchen und Erzbischof“ dieser Vereinigung, wegen Volksverhetzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurden.“

Woher der Name Hebräer stammt

Schauen wir also nach, woher der Name Hebräer kommt. Im ‚Lexikon für Theologie und Kirche‘ von Dr. Michael Buchberger finden wir einen korrekten Hinweis:

„Hebräer, im Alten Testament Bezeichnung der Israeliten vor und neben der Bezeichnung bene jiśrāʾēl = Nachkommen des Stammvaters Jakob = Israel. Das Wort geht durch das lateinische Hebraeus über das griechische auf das aramäische ʿebrājā zurück.“

In Genesis 14, 13 wird Abraham „der Hebräer“ genannt. Abraham bzw. sein leiblicher Nachkomme Jakob gilt als Stammvater des jüdischen Volkes.

Um zu beweisen, daß die heidnischen Chasaren zu den eigentlichen Stammvätern der heutigen Juden wurden, stützen sich die Israelhasser auf einen Eintrag über die Chasaren aus dem Lexikon „The Jewish Encyclopedia“ aus dem Jahr 1906. Mit seinen Ausführungen hat die jüdische Enzyklopädie den Judenhassern eine Steilvorlage geliefert. Was diese sicher nicht beabsichtigt hatte.

Was die jüdische Enzyklopädie über die Chasaren schreibt

Was können wir aus der Online-Ausgabe der Jewish Encyclopedia von 1906 über die Chasaren erfahren? Dort lesen wir:

„Es war wahrscheinlich ungefähr um diese Zeit (Anm.: um 670 v. Chr.), daß der Chaghan der Chasaren und seine Großen zusammen mit einer großen Anzahl seines heidnischen Volkes die jüdische Religion annahmen. Nach A. Harkavy („Meassef Niddaḥim“, i.) fand die Bekehrung im Jahr 620 statt, nach anderen im Jahr 740.

König Joseph gibt in seinem Brief an Ḥasdai ibn Shaprut (um 960) den folgenden Bericht über die Bekehrung:

(siehe Harkavy, „Soobshchenija o Chazarakh“, in „Yevreiskaya Biblioteka“, vii. 153)

„Vor einigen Jahrhunderten herrschte König Bulan über die Chazaren. Ihm erschien Gott in einem Traum und versprach ihm Macht und Ruhm. Durch diesen Traum ermutigt, zog Bulan auf der Straße von Darlan in das Land von Ardebil, wo er große Siege [über die Araber] errang. Der byzantinische Kaiser und der Kalif der Ismaeliten schickten ihm Abgesandte mit Geschenken und Weisen, um ihn zu ihren jeweiligen Religionen zu bekehren. Bulan lud auch weise Männer aus Israel ein und untersuchte sie alle.

Da jeder der Verfechter seine Religion für die beste hielt, befragte Bulan die Mohammedaner und die Christen getrennt, welche der beiden anderen Religionen sie für die bessere hielten. Als beide der jüdischen Religion den Vorzug gaben, erkannte der König, daß dies die wahre Religion sein musste. Er nahm sie daher an.“

Was ein christlicher Autor über die Bekehrung der Chasaren schrieb

Eine ähnliche Version findet sich in dem Buch ‚Historische Abhandlungen Bd. 8 Über die Chazaren‘ aus dem Jahr 1799:

„Bald nachher soll sich eine andere merkwürdige Begebenheit zugetragen haben. Bula, König der Chasaren, fasste, durch einen Traum bewegt, Zweifel gegen die Wahrheit der Heidnischen Religion, welcher er vorher sehr ergeben gewesen war und deren Gebräuche er sorgfältig beobachtet hatte.

Dieser Traum bewegte ihn, zuerst mit einem Heidnischen Philosophen über Glaubenssachen zu reden, darauf mit einem Christen und zuletzt mit einem Mohammedaner, von denen ihn doch keiner befriedigte. Zuletzt ließ er einen Jüdischen Rabbi kommen, obgleich er sonst die Juden verachtet hatte, und war mit seinen Antworten so zufrieden, daß er nebst seinem Feldherrn sich nach dem Gebirge Harsan begab, wo die Juden sich aufhielten, und sich in einer Höhle beschneiden ließ. Darauf ließ er Rabbinen und Jüdische Bücher kommen, eine Stiftshütte nach dem Muster der Mosaischen erbauen, und bewegte nach und nach alle seine Untertanen, die Jüdische Religion anzunehmen. Vorzüglich ließ er sich mit dem Rabbi Isaak Sangari in eine weitläufige Untersuchung über den Glauben ein.

Alles dieses steht in dem Rabbinischen Buche Cosri, welches Rabbi Judas Hallevy im 12-ten Jahrhunderte zuerst in Arabischer Sprache bekannt gemacht hat, worauf Rabbi Judas Ben Tybon einige Jahre nachher dasselbe in das Hebräische übersetzte.“

Das Chasaren-Märchen ähnelt sehr der Ringparabel ‚Nathan der Weise‘

Beide Versionen ähneln sehr der Ringparabel von Lessings ‚Nathan der Weise‘. Beide Geschichten, die über die Bekehrung der Chasaren und die Ringparabel haben auch denselben Ursprung. Die Legende von einem weisen Herrscher, der zwischen den drei abrahamitischen Religionen entscheiden muss, ist im Nahen Osten schon mindestens seit dem 8. Jhd. n. Chr. bekannt und wurde zu dieser Zeit zu einem häufigen literarischen Motiv.

Peter Friedrich von Suhm, der die Abhandlung ‚Über die Chasaren‘ im Jahr 1799 schrieb, stellt dann bezüglich des legendenhaften Berichtes fest:

„Indessen ist kein Zweifel, daß bei dieser Geschichte vieles erdichtet und vergrößert worden; vorzüglich sind alle Sagen, welche übrigens eben nicht schlecht geschrieben sind, offenbar zu dem Ende erdichtet, um die Vortrefflichkeit der üdischen Religion zu beweisen. Aber es ist hier nur die Frage, ob nicht ein Chasarischer König im 8-ten Jahrhundert die Jüdische Religion angenommen, oder wenigstens den Juden die freie Ausübung ihres Gottesdienstes verstattet habe, wenn auch nicht gerade das ganze Volk diese Lehre angenommen haben sollte, welches offenbar falsch ist, oder auch die Nachfolger dieses Königs in den ersten 200 Jahren Juden gewesen sein sollten. Im Buche Cosri wird das Land Cozar genannt. (S. 55-56)

Die Jüdische Enzyklopädie schreibt auch zunächst, daß diese Version den Charakter einer Legende hat.

Der Grund für die Legendenbildung

Dazu haben die Gebrüder Lémann, die vom jüdischen zum katholischen Glauben konvertierten, in ihrem Buch ‚Die Messiasfrage und das vatikanische Konzil‘ (siehe den Beitrag: Eine Geheimnis umwebt das jüdische Volk) Folgendes vermerkt:

Das Buch Cosri des spanischen Rabbis Judas Hallevy war ein Handbuch der jüdischen Familien geworden. In demselben figuriert ein Rabbiner gegenüber einem Philosophen, einem Christen und einem Mohammedaner und der Rabbiner erklärt das Unglück seiner Nation folgendermaßen:

„Meine Nation ist im Universum, was das Herz im menschlichen Leibe ist. Wie das Herz unter der Schwäche des Temperamentes und der Leidenschaften leidet, so leidet der Jude wegen aller Verbrechen, die begangen werden. Alle Teile entladen sich auf das Herz; und so beladen sich die Juden, welche in der Mitte der Nationen stehen, mit deren Sünden. Aber wie das Herz, obgleich oft tief verwundet, das Prinzip der Bewegung und des im ganzen Leib verbreiteten Lebens ist, ebenso ist das jüdische Volk das oft verkannte Prinzip der tiefen Ruhe, welche die Welt genießt.“

Die Brüder Lémann kommentieren dazu: „In diesem anmutigen Bild barg sich nichts weiter als der Humanismus in der Erlösung: an die Stelle Gottes setzte sich im Werk der Erlösung das Geschöpf.“

In einer Fußnote findet sich dann noch ein wichtiger Hinweis:

„Cosri II. § 45. p. 112. – Der Verfasser dieses Buches ist ein spanischer Rabbi aus dem zwölften Jahrhundert, namens Judas Hallevy; er verfasste es, um die Vorzüglichkeit der jüdischen Religion zu begründen. Er nimmt an, ein König von Cozar, einer Stadt der Tartarei, lasse in seiner Gegenwart einen Philosophen, einen Christen, einen Mohammedaner und einen Rabbiner disputieren. Da dieser Letztere Sieger geblieben, so habe er mit seinem ganzen Volk den Judaismus angenommen. Diese Erzählung, welche man in den jüdischen Schulen den verwunderten Kindern sorgfältig der Länge und Breite nachzuerzählen pflegt, leidet nur an dem unbequemen Umstand, daß es nie einen König von Cozar oder ein Land dieses Namens gegeben hat. Alle Bemühungen der Geographen, sie zu entdecken, sind gescheitert.“

Diesen zwei Juden war nichts von einer Massenbekehrung der Chasaren zum Judentum bekannt.

Die Frage der Echtheit des Briefes des Chasaren-Königs

In der Abhandlung über die Chasaren geht es dann auch um die Echtheit:

„Der junge Baratier dagegen leugnet zwar nicht die Existenz der Chasaren, behauptet aber doch, daß nicht allein die Untersuchung und Unterredung des Chasarischen Königs mit den verschiedenen Glaubensgenossen, sondern auch seine Bekehrung, und alles, was von diesem Vorfall erzählt wird, erdichtet sei.

Dagegen beweist er gegen Burxtorf, daß der Brief, welchen Rabbi Chasdai aus Spanien im 10-ten Jahrhundert an den Chasarischen König Joseph geschrieben hat, und welcher in Buxtorfs Vorrede zu dem Buche Cosri steht, echt, daß aber die Antwort Josephs erdichtet und Chasdai selbst mit derselben betrogen worden sei. Er beweist auch, daß diese Briefe die Veranlassung zu dem Buche Cosri gegeben haben, welches nach denselben geschmiedet worden sei…“ (S. 56/57)

Die jüdische Bevölkerung im Chasarenreich

Die jüdische Bevölkerung im gesamten Herrschaftsbereich der Chasaren muss ohne die angebliche Massenbekehrung in der Zeit zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert beträchtlich gewesen sein. Es besteht nämlich kein Zweifel, daß die kaukasischen und anderen orientalischen Juden schon lange vor der Ankunft der jüdischen Flüchtlinge aus Griechenland mit den Chasaren gelebt und Geschäfte gemacht hatten. Der byzantinische Kaiser Leo der Isaurier hatte zudem in seinem Bekehrungswahn die Juden zur Flucht gezwungen.

In der jüdischen Enzyklopädie wird dann eine Quelle für die angebliche Massenbekehrung der Chasaren zum jüdischen Glauben erwähnt. Es ist der russisch-jüdischer Historiker und Orientalist Abraham Harkavy (1835 bis1919). Seine Beweise stützen sich auf arabische und slawonische Quellen. Damit ist klar, daß die religiöse Auseinandersetzung am chasarischen Hof eine historische Tatsache ist.

In der Enzyklopädie heißt es weiter:

„Im Großen und Ganzen stimmt der Bericht von König Joseph mit den Aussagen der arabischen Autoren des zehnten Jahrhunderts überein, enthält aber im Detail einige Unstimmigkeiten. Nach Ibn Faḍlan, Ibn Dastah und anderen waren nur der König und die Großen Anhänger des Judentums. Der Rest der Chasaren waren Christen, Mohammedaner und Heiden, und die Juden waren in der großen Minderheit (Frähn, ‚De Chazaris‘, S. 13-18, 584-590). Nach Mas’udi (‚Les Prairies d’Or‘, ii. 8) waren der König und die Chasaren selbst Juden; die Armee bestand jedoch aus Mohammedanern, während die anderen Einwohner, insbesondere die Slawen und Russen, Heiden waren.“

Falsche Übersetzungen

In dem Beitrag ‚Die seltsame Verschwörungstheorie der chasarischen Juden‘ geht die Autorin auf die Frage falscher Übersetzungen ein, die bei dem Chasaren-Märchen auftreten. So heißt es dort:

Neben dem Brief von Ibn Shaprut wird meist al-Masʿūdī zitiert, wenn es um die „Konversion“ der Chasaren zum Judentum geht:

„kāna tahawwuda maliki l-ḫazari fī ḫilāfati r-Rašīd“13, wörtlich: „Während der Herrschaft von Khalif Harun ar-Raschid [ungefähr 786-809 n. Chr.] wurde der König der Chasaren jüdisch“

Der verwendete Begriff ‚tahawwud‘ meint hierbei wahrscheinlich nicht unbedingt, daß es eine religiöse Konversion zum Judentum gab, sondern eher, daß ein gebürtiger Jude das Königsamt übernahm: Der König „wurde jüdisch“, weil ein Jude zum König wurde.

Und die Erklärung dafür liefert al-Masʿūdī direkt im Anschluss:

„wa-huwwa sannatu ʾiṯnān wa-ṯalaṯīna […] fa-tahāraba ḫalqun min al-yahūdi min arḍi r-rūm ʾilā ʾardi l-ḫazari“14, also: „Im Jahr 943 n.Chr. […] floh eine Gruppe von Juden [wegen Verfolgungen und Zwangskonversionen] aus dem Byzantinischen Reich in das Land der Chasaren“.

Aus dieser Quelle kann man rückschließen: Es gab keine Konversion, vielmehr übernahm eine Gruppe aus dem byzantinischen Reich geflohener Juden das Königsamt im Land der Chasaren. Das ist der Ursprung der jüdischen Chasaren – offensichtlich für jeden, der die Quelle im Original liest.

Die Abhandlung in der Jüdischen Enzyklopädie von 1906 enthält selber Fehler bzw. Unstimmigkeiten. Deshalb kann sie nicht als authentische Quelle angesehen werden.

Denn unterhalb der Stammesaristokratie gab es weiterhin zahlreiche Anhänger des alttürkischen Stammesglaubens, des Christentums und besonders des Islam.

Das Chasaren-Märchen: Ausdehnung des Chasarenreiches im 9. JahrhundertBildquelle: wikimedia | CC BY-SA 3.0 Unported

Ungefähre Ausdehnung des chasarischen Khaganats (hellblau) und seines Einflussgebiets (dunkelblau) auf der Höhe seiner Machtentfaltung, etwa 820. Ortsnamen in weißer Schrift bezeichnen abhängige Gebiete oder chasarische Stämme.

Die Beziehungen zu Byzanz

So viel ist gewiss, daß die Chasaren und Griechen mehr Freunde als Feinde waren. Am byzantinischen Hof genoss der Chaghan ein hohes Ansehen. In der diplomatischen Korrespondenz mit ihm wurde das Siegel aus drei Solidi verwendet, das ihn als einen Potentaten ersten Ranges auswies, der sogar über den karolingischen Monarchen stand.

Vielleicht trug auch der Hass, welchen beide gegen die Bulgaren hatten (Anm.: da diese Mohammedaner waren), etwas dazu bei, daß der Kaiser Leo Isaurus an den Chagan der Chasaren Gesandte schickte, und dessen Tochter für seinen Sohn Constantinus, der fünfzehn Jahr alt war, zur Gemahlin verlangte. Sie ward aber zuvor in der Christlichen Religion unterrichtet, getauft und erhielt den Namen Irene. Sie gebar im Jahre 750 Leo mit dem Zunamen des Chasaren, der nachher Kaiser wurde. Kaiser Leo IV. ‚der Chasar‘ (775-780), der Sohn Konstantins, war also ein Enkel des Königs der Chasaren. Von seiner Mutter erbte er sein mildes, liebenswürdiges Gemüt.

Irene war übrigens eine so große Verehrerin der Heiligen und Bilder, als ihr Mann, ihr Sohn und Schwiegervater dieselben hassten. Bei dieser Gelegenheit kam eine Chasarische Tracht nach Konstantinopel, welche Tzihakia hieß und von den Kaisern nachher bei festlichen Gelegenheiten getragen wurde.

Chasarische Truppen gehörten zur Leibgarde des byzantinischen Kaiserhofs und kämpften 888 für Leo VI. gegen Simeon von Bulgarien. (Quelle: Über die Chasaren, S. 54)

Kaiser Justinian II. suchte nach seiner Flucht von Cherson nach Doros während seines Exils Zuflucht beim Chaghan und heiratete dessen Tochter, die nach ihrer Taufe den Namen Theodora annahm. Übrigens irrt hier die Jüdische Enzyklopädie, die die Frau des Kaisers Justinian II. mit der Frau Konstanins verwechselt, welche nach ihrer Taufe den Namen Irene erhielt.

Im zehnten Jahrhundert dauerte die Freundschaft zwischen den Griechen und Chasaren fort.

Die Christianisierung der Chasaren

Im neunten Jahrhundert waren die Chasaren in Russland mächtig. In diesem Jahrhundert erfolgte auch die Bekehrung der Chasaren zum Christentum. „Die Chasaren“, so schreibt von Suhm, empfingen „von dem Griechischen Kaiser eine weit größere unschätzbare Wohltat; sie wurden nämlich durch seine Vermittlung zu dem Christlichen Glauben bekehrt, welches folgendermaßen zuging.

Die Chasaren schickten Gesandte an den Kaiser Michael, und baten ihn, ihnen einen Mann zu senden, der sie in der Christlichen Lehre unterrichten könnte, da sowohl Juden als Mohammedaner sie zu überreden suchten, ihren Glauben anzunehmen; sie hatten indessen das Zutrauen zu der Freundschaft der Griechen, daß sie ihnen am besten raten würden. Dem zufolge schickte der Kaiser, nach einer Beratschlagung mit dem Patriarchen Ignatius, den Philosophen Constantinus aus Thessalonica, der kurz vor seinem Tod den Namen Cyrillus annahm, zu ihnen.“ (S. 62/63)

In dem Kirchenlexikon von Wetzer und Welte finden wir zum Stichwort Chasaren die folgende Information:

„Das Verdienst, unter den Chasaren den Samen des Christentums ausgestreut zu haben, gebührt dem hl. Cyrill. Alten Nachrichten zufolge kamen zur Zeit des griechischen Kaisers Michael des Trunkenbolds Abgeordnete der Chasaren nach Konstantinopel mit der Bitte um einen tüchtigen christlichen Missionar, da sie nicht alle gewillt seien, den Glauben der Juden und Sarazenen, welche unter ihnen Proselyten zu machen suchten, anzunehmen. Die alte Freundschaft mit dem byzantinischen Hof und der Umstand, daß in der Chasarennähe, im taurischen Chersonesus selbst, unter den Iberiern, Laziern und andern asiatischen Stämmen das Christentum schon festen Fuß gefasst hatte, sprechen ebenfalls für die Wahrheit jener alten Nachricht in Betreff des angezogenen Bittgesuchs.“

Allem Anschein nach sind vorzüglich die Chasaren, welche in der Krim und gerade gegenüber wohnten, bekehrt worden.

Die Aufsicht über die Christen unter den Chasaren behielt der Erzbischof von Cherson.

Weitere Bemühungen der Päpste zur Christianisierung der Chasaren

Im dreizehnten Jahrhundert gaben sich übrigens die Päpste viele Mühe, um die Chasaren und andere schismatische und heidnische Völker zur Erkenntnis der katholischen Lehre zu bringen. Sowohl Innozenz IV. im Jahr 1253 als auch Nikolaus IV. im Jahr 1288 schickten Dominikanermönche zu den Chasaren. Papst Urban V. fuhr wie seine Vorgänger fort, an der Vereinigung der Chasaren und anderer Völker mit der katholischen Kirche zu arbeiten. Er schickte Minoritenmönche zu ihnen. Aber, wie es scheint, waren alle diese Bemühungen vergeblich.

Viele Chasaren vermischten sich auf der Krim mit den einheimischen Juden; die Krimtschaki sind wahrscheinlich ihre Nachkommen – vielleicht auch einige der Subbotniki („Voskhod“, 1891, iv.-vi.). Einige gingen nach Ungarn, aber die große Masse der Menschen blieb in ihrem Heimatland. Viele Mitglieder der chasarischen Königsfamilie jedoch wanderten nach Spanien aus.

Trotz all dieser Informationen ist unter Historikern ungeklärt, ob nur der Chagan, die Fürsten und die Oberschicht Juden waren oder mehr oder weniger weite Teile des Volkes. Zahlreiche Quellen belegen, daß die Elite hebräisch sprach, den Shabbat heiligte und die jüdischen Speisegesetze einhielt.

Das Chasaren-Märchen bleibt gerade wegen aller Widersprüche ein Märchen

Als das Chasarenreich nach dem Zerfall in kürzester Zeit in Vergessenheit geriet, haben die Chasaren keine schriftlichen Quellen hinterlassen. Denn sie waren des Lesens und Schreibens unkundig. Wie kann ein ganzes Volk sich zum Judentum hinwenden, wenn sie nicht lesen konnten. Immerhin ist das Lesen und Schreiben in der jüdischen Religion bedeutsam und notwendig. Und wie ist es möglich, daß unter so vielen Chasaren kein einziger Proselyt eine schriftliche Quelle über die angebliche massenweise Bekehrung zum Judentum verfasst hat? Dies müsste man eigentlich erwarten.

Doch die einzige Quelle sind die sog. chasarischen Briefe, die Korrespondenz zwischen Hasdai und dem chasarischen König Joseph. Hasdai Ibn Shaprut  (915 bis 970) war ein jüdischer Diplomat in Spanien. Die Echtheit der zwei Briefe sind umstritten.

Ernst Moritz Arndt (1769 bis 1860), deutscher Schriftsteller, Historiker und Nationalist, schrieb dereinst:

„Ein geistigeres und innigeres Element als die Sprache hat ein Volk nicht. Will ein Volk also nicht verlieren, wodurch es ein Volk ist, will es seine Art mit allen seinen Eigentümlichkeiten bewahren, so hat es auf nichts mehr zu achten, als daß ihm seine Sprache nicht verdorben und zerstört werde.“

Wenn also das Chasarenvolk sich zum jüdischen Volk gewandelt hat, müsste man davon ausgehen, daß sie ein großes Interesse hatten, die hebräische Sprache wenigstens als Schriftsprache zu übernehmen. Denn die Chasaren hatten keine eigene Schrift. Diejenigen aus dem Königshaus, die sich zum Judentum bekehrten, verwendeten in ihren Schriften zwar die hebräischen Buchstaben. Aber das gemeine Volk tat dies nicht. Wenn es also eine Massenbekehrung der Chasaren zum jüdischen Glauben gegeben haben sollte, so müsste es noch regionale Volksgruppen als Nachfahren im Osten geben, die wenigstens die hebräische Schrift nutzen. Dies ist aber nicht der Fall. Sie benutzen die kyrillische Schrift, die die Christen ihnen geschenkt haben.

Deshalb sind auch keine schriftlichen Quellen der Chasaren selber überkommen bzw. überliefert. Alles, was an Informationen über das Chasaren-Märchen vorhanden ist, stammt entweder von Juden aus Spanien oder von Mohammedanern in arabischer Sprache. Dies ist ebenfalls eine Merkwürdigkeit, die die Stirn runzeln lässt.

Die Zeugen der Jüdischen Enzyklopädie für die massenweise Bekehrung zum Judentum

Die Jüdische Enzyklopädie von 1906 hält eine massenweise Bekehrung der Chasaren zum Judentum für möglich. Dafür zitiert sie den russischen Orientalisten Chwolson (1819 bis 1911), der aus einem jüdischen Elternhaus stammt. 1855 trat er zum russisch-orthodoxen Christentum über.

So liest man in der Jüdischen Enzyklopädie:

„Aus dem Werk ‚Kitab al-Buldan‘, das etwa im neunten Jahrhundert geschrieben wurde (S. 121; zitiert von Chwolson in ‚Izvyestiya o Chazarakh‘, etc., S. 57), geht hervor, daß alle Chasaren Juden waren und erst kurz vor der Abfassung dieses Buches zum Judentum konvertiert waren. Aber dieses Werk wurde wahrscheinlich von Jaihani inspiriert; und es ist anzunehmen, daß im neunten Jahrhundert viele chasarische Heiden dank des religiösen Eifers von König Obadja zu Juden wurden.“

Jaihani war von 914 bis 922 persischer Wesir des Samanidenreiches.

„Eine solche Bekehrung in großen Massen“, so Chwolson (ib. S. 58), „mag der Grund für die Botschaft von Christen aus dem Land der Chasaren an den byzantinischen Kaiser Michael gewesen sein. Der Bericht über diese Botschaft lautet wie folgt: ‚Quomodo nune Judæi, nune Saraceni ad suam fidem eos molirentur convertere'“ (*) (Schlözer, „Nestor“, iii. 154).

(*) Wie konnten die Juden und Muslime versuchen, sie zu ihrem Glauben zu bekehren?

Der Dichter Jehuda Hallevy aus Toledo (1075 bis 1141) benutzte die Legende in seinem philosophischen Werk Cosri als Rahmenhandlung, um das Judentum gegen Attacken von Muslimen, Karäern und anderen »Häretikern« zu verteidigen.

Das Ostjudentum hat mit den Chasaren nichts zu tun

In der Moderne erhielt die Geschichte der konvertierten Chasaren neuen Aufwind mit dem 1976 erschienenen populärwissenschaftlichen Sachbuch von Arthur Koestler „Der dreizehnte Stamm“.

Er behauptete, daß die Aschkenasi und insbesondere die Juden Osteuropas in Wirklichkeit von den Chasaren abstammen.

Forscher haben ihm umgehend Fehler und Irrtümer nachgewiesen, aber Antizionisten und Antisemiten beriefen sich auf Koestlers Werk, um die Legitimität des Staates Israel zu bestreiten. Der überzeugte Zionist Koestler war sich des Missbrauchs bewusst und schrieb: „Ob die Chromosomen seines Volkes nun die Gene der Chasaren oder solche semitischer, romanischer oder spanischer Herkunft enthalten, ist irrelevant und kann nicht das Existenzrecht Israels in Frage stellen.“ (Quelle: Jüdische Chasaren eine falsche Legende)

Abbildung Wormser Juden (Aschkenasim) im MittelalterBildquelle: wikimedia

Die aschkenasischen und sephardischen Q-Linien gingen vor mehr als 2.000 Jahre vor der Gründung des Königreichs Israel auseinander.

1939 waren 94 % aller Juden aschkenasischer Abstammung, und im 21. Jahrhundert machen sie etwa 70 % aus. Die Bezeichnung stammt vom biblischen Personen- und Gebietsnamen Aschkenas. Eingewanderte Juden übertrugen ihn im 9. Jahrhundert auf das deutschsprachige Gebiet und die dort lebenden Juden. Mit deren zunehmender Verbreitung ging der Name auf alle europäischen Juden über, mit Ausnahme der in Portugal und Spanien ansässigen Sepharden.

Zweifel an der Legende der Massenbekehrung des chasarischen Volkes ist mehr als angebracht

Der israelische Historiker Shlomo Sand hat die Legenden, nach denen die Chasaren zum Judentum übergetreten sind, bereitwillig aufgenommen und in seinem Bestseller „Die Erfindung des jüdischen Volkes“ verbreitet. Antizionisten wie der Bethlehemer Pastor Mitri Raheb haben das Motiv aufgegriffen, damit sie behaupten konnten, daß heutige Juden ethnisch nicht mit dem biblischen Volk Israel verwandt sind, sondern von den Chasaren abstammen. So hätten sie niemals in Israel gewohnt, und aus diesem Grund hätten sie auch keine Rechte auf eine Heimstatt in ‚Palästina‘.

Es gibt nun Verschwörungstheorien, die besagen, daß die Überlebenden sich auf Osteuropa verteilten und so zu den Vorfahren der aschkenasischen Juden wurden. Die Absicht mit dieser Theorie ist, Israel zu delegitimieren. Denn wenn nämlich die «Aschkenasim» nicht von den ursprünglichen Israeliten abstammten, hätten sie auch kein Recht, sich heute in Israel niederzulassen.

Dagegen sind wichtige, nicht zu leugnende Fakten zu nennen.

Archäologen haben im Chasarenland keine Gräber mit typisch jüdischen Symbolen oder andere archäologische Hinweise gefunden. Zwar gab es Chasaren-Münzen mit arabischer Aufschrift „Moses ist der Bote Gottes“ und auch Siegel mit dem Davidstern, das bei Ausgrabungen gefunden wurden. Jedoch sind dies keine Beweise für das Chasaren-Märchen. So blieben nur die Textdokumente, wie der Briefwechsel aus dem Jahr 960 zwischen dem spanisch-jüdischen Diplomaten Hasdai ibn Schaprut und Joseph, dem König der Chasaren, sowie Beschreibungen arabischer Autoren.

Professor Schaul Stampfer, Historiker für Sowjetisches und Osteuropäisches Judentum an der Fakultät für die Geschichte des Jüdischen Volkes der Hebräischen Universität in Jerusalem, hat jahrelang alle schriftlichen wie archäologischen Quellen für diese Legende durchforstet und kommt zum Schluss: Alles ist falsch. Es gebe keine zuverlässige historische Quelle für die Behauptung, daß die Chasaren Juden waren. Weder Volk noch Elite seien zum Judentum konvertiert.

Stampfer kommt deshalb zu dem Schluss, daß alle diese Dokumente eine „Kakophonie von Verdrehungen, Widersprüchen, eigenen Interessen und andere Anomalien“ enthalten. Manche Texte seien falschen Autoren zugeschrieben worden. Historische Berichte, etwa eines „Sallam der Übersetzer“, 842 vom Kalifen von Al-Wathiq ausgesandt, erwähnte zwar die Chasaren, aber mit keinem Wort deren Konversion zum Judentum. (Quelle: Jüdische Chasaren eine falsche Legende)

Da aber die Juden- und Israelhasser weiterhin das unverdrossen das Chasaren-Märchen als echt ansehen und verbreiten, bleibt noch ein letzter Beweis zu zeigen, daß das Ostjudentum, die Aschkenasim, nicht von den Chasaren abstammen. Es ist dies der DNA-Beweis.

Bestätigung der gemeinsamen nahöstlichen Herkunft aller Juden durch DNA- Analyse

Die Untersuchung

Das Forscherteam um Harry Ostrer von der New York University sammelte in New York, Seattle, Athen, Rom und Israel DNA von 237 Personen, deren beide Großelternpaare einer der drei jüdischen Gemeinschaften der osteuropäischen Aschkenasim, italienisch-griechisch-türkischen Sepharden oder syrischen Mizrachim angehören. Verglichen wurden die Ergebnisse mit dem Erbgut von 418 Nichtjuden. Die Forscher untersuchten nicht das gesamte Erbgut, sondern vor allem besonders charakteristische Stücke der DNA, sogenannte SNPs (small nuclear polymorphisms, gesprochen »Snips«). Jeder SNP steht für eine Variation in der DNA, die in manchen Volksgruppen häufiger vorkommt als in anderen. Vergleicht man ausreichend viele SNPs – hier über 200.000 –, lässt sich abschätzen, mit welchen Volksgruppen eine Person verwandt ist.

»Die Studie stützt die Idee eines jüdischen Volkes mit gemeinsamer genetischer Historie«, sagt Ostrer, Leiter der Studie, die im »American Journal of Human Genetics« veröffentlicht wurde. (Quelle: Kinder Abrahams)

„Die Forscher benutzten die DNS-Chip- oder „Microarray“-Technik. Mit diesem Verfahren ist es möglich, das Erbgut unterschiedlicher Personen sehr detailliert zu vergleichen, angefangen von einzelnen ‚Buchstaben‘ der Erbinformation DNS bis hin zu längeren Abschnitten. Auf DNS-Chips basierende Studien ermöglichen damit weitergehende Aussagen als bisherige Untersuchungen. Zuvor war das männliche Y-Chromosom und das Erbgut der nur von den Müttern weitergegebenen Mitochondrien benutzt worden, um die Genealogie der Juden zurückzuverfolgen.

Überraschend für die Wissenschaftler war die Nähe zwischen heutigen Aschkenasen und Sepharden – unerwartet, weil beide Zweige sich vor langer Zeit trennten. Beide Gruppen haben zwischen 30 und 60 Prozent ihres Genoms von Europäern geerbt. Sie könnten von Juden abstammen, die vor 800 n. Chr. in Norditalien heimisch waren und sich hier mit Italienern vermischten. Dafür spricht, daß das Genom von Sepharden und Aschkenasen deutlich mit dem italienischen Juden übereinstimmt.“ (Quelle: Abrahams Kinder)

Es gibt keine Hinweise auf eine chasarische Herkunft der aschkenasischen Juden

Die 2013 von 30 Genetikern aus 13 Universitäten und Akademien aus 9 Ländern durchgeführte Transgenomstudie, in der der bislang größte verfügbare Datensatz zur Bewertung der aschkenasischen jüdischen genetischen Herkunft zusammengestellt wurde, ergab keine Hinweise auf eine chasarische Herkunft bei aschkenasischen Juden. „Die Analyse der aschkenasischen Juden zusammen mit einer großen Stichprobe aus der Region des Khazar Khaganate bestätigt somit die früheren Ergebnisse, daß aschkenasische Juden ihre Vorfahren hauptsächlich aus Bevölkerungsgruppen des Nahen Ostens und Europas ableiten und eine beträchtliche gemeinsame Abstammung mit anderen jüdischen Bevölkerungs-Gruppen besitzen und daß es weder innerhalb noch außerhalb des Kaukasus Hinweise auf einen signifikanten genetischen Beitrag gibt“, folgerten die Autoren.

Die Autoren fanden in Aschkenasim keine Affinität zu den Populationen im Nordkaukasus sowie in Aschkenasim keine größere Affinität zu den Populationen im Südkaukasus oder in Anatolien als bei nicht-aschkenasischen Juden und nicht-jüdischen Menschen im Nahen Osten (wie Kurden, Iranern, Drusen und Libanesisch). Die größte Affinität und gemeinsame Abstammung der aschkenasischen Juden bestand (nach denen mit anderen jüdischen Gruppen aus Südeuropa, Syrien und Nordafrika) sowohl mit Südeuropäern als auch mit Levantinen wie drusischen, zypriotischen, libanesischen und samaritanischen Gruppen. (Quelle: Genetische Studien und die Khazar-Hypothese)

Das Ergebnis der Genanalyse

Die Forscher schlossen ihre Analyse wie folgt ab:

„Wir bestätigen die Annahme, daß die aschkenasischen, nordafrikanischen und sephardischen Juden eine erhebliche genetische Abstammung haben und daß sie diese aus der Bevölkerung des Nahen Ostens und Europas stammen, ohne daß ein nachweisbarer Beitrag der Khazar zu ihrer genetischen Herkunft erkennbar ist.“

Die Genanalyse ergab also, daß Aschkenasen, Sepharden und Mizrachim tatsächlich so viele gemeinsame genetische Merkmale aufweisen, daß man sie als eigenständige Gruppe von der übrigen Weltbevölkerung unterscheiden kann. Zugleich konnten die Forscher bei allen drei Diaspora-Gruppen Ursprünge im Nahen Osten nachweisen sowie eine Vermischung mit der Bevölkerung der jeweiligen Umgebung. „Das erklärt, wieso so viele europäische und syrische Juden blaue Augen und blondes Haar haben“, sagt Ostrer.

Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen

Collage Porträts von JudenBildquelle: wikimedia | CC BY-SA 3.0 Unported

Der Genforscher Gil Atzmon hat zusammen mit Harry Ostrer die genetischen Untersuchungen über die Herkunft der Juden durchgeführt. In einem Interview erklärt er gegenüber Welt Online das Ergebnis der Studie.

Atzmon: … Lassen Sie mich Ihr Augenmerk zunächst auf Folgendes lenken: Juden teilen mehr genetisches Material miteinander als mit ihrer nichtjüdischen Umgebung.

WELT ONLINE: Dann sind die Juden also wirklich eine Familie?

Atzmon: Nun ja, in gewisser Hinsicht. Die Juden haben einen gemeinsamen Vorfahren, dessen Spuren sich in den Nahen Osten zurückverfolgen lassen. Wir können Informationen aus dem Genmaterial verwenden, um historische Ereignisse zu definieren. Etwa die Spaltung zwischen den iranischen und irakischen Juden auf der einen Seite – den sogenannten „Misrachim“, den Juden im Nahen Osten – und den Aschkenasim, die vor ungefähr 2500 Jahren stattfand. Wir sehen auch verschiedene Mischungen. Die Aschkenasim haben besonders viel davon im ersten Jahrtausend angesammelt: Schließlich waren zehn Prozent der Bevölkerung des byzantinischen Reiches Juden, ungefähr sechs Millionen, viele von ihnen Konvertiten. Außerdem sehen wir deutlich den „aschkenasischen Flaschenhals“.

Die massenhafte Konversion von Nichtjuden hörte um das Jahr 800 herum auf. Danach heirateten Juden nur noch untereinander und erlaubten nicht mehr, daß Gene von außen dem Genpool hinzugefügt wurden. Wenn wir zählen, wie viel Genfluss es gab, kommen wir auf 0,5 Prozent: ausgesprochen wenig.

WELT ONLINE: Was ist von der Theorie zu halten, daß die osteuropäischen Juden von den Chasaren abstammen, wie Arthur Koestler sie in seinem Buch „Der dreizehnte Stamm“ aufstellte?

Atzmon: Wir haben sie mit unserer Untersuchung widerlegt. Eine der Bevölkerungsgruppen, die wir untersucht haben, stammt aus der Gegend, wo die Chasaren lebten, und sie zeigt keinerlei genetische Ähnlichkeit mit diesen Leuten.

Fazit für alle, die das Chasaren-Märchen glauben

Über das Thema ‚Verschwörung‘ finden sich einige Beiträge hier auf diesem Blog. In diesen Beiträgen zeigen wir auf, daß es Verschwörungen gibt und daß sie in der Geschichte zuhauf zu finden sind. Doch nicht jede Verschwörungstheorie, die heute im Internet herumgeistert, ist eine seriöse Theorie. Zu viele gehen mit ihrem Verschwörungsmüll hausieren, insbesondere in den Sozialen Medien.

Zu diesem Müll gehört auch das Chasaren-Märchen.

Die Informationen über die Massenbekehrung zum jüdischen Glauben sind so widersprüchlich, daß das Chasaren-Märchen als unglaubwürdig zu befinden ist. Jedenfalls kann die Behauptung, die Chasaren seien durch Proselytentum zum nicht-semitischen jüdischen Volk geworden, nicht als Tatsache angesehen werden. Das Chasarenreich ist erloschen, nur die Legende der Massen-Konversion hat überlebt.

Es ist an der Zeit, die Theorie der jüdischen Konversion der Chasaren nicht als kontrovers, sondern als unglaubwürdig zu beurteilen. Die für die Israelhasser so gewichtige Chasarenfrage sollte durch die unabhängige wissenschaftliche Bewertung der Quellen als ein Märchen angesehen werden. Die Frage ist definitiv beantwortet. Das Chasaren-Märchen ist eindeutig widerlegt. Die wissenschaftliche Untersuchung ergibt eindeutig, daß eine Migration einer Gruppe jüdischer Händler aus dem Byzantinischen Reich viel wahrscheinlicher ist als eine gesamtheitliche Konversion des chasarischen Volkes zum Judentum.

Wer also seine Abneigung gegen Israel damit begründet, daß es sich bei 90 % der Israelis um Nachfahren der Chasaren, also Proselyten handelt, die in Israel wohnen, der sollte sich fragen, ob er bei 100 % jüdischer Semiten in Israel keine Abneigung mehr gegen Israel habe. Ich bezweifle es. Sie werden weiter den Wunsch haben, daß Israel in Palästina liquidiert wird.

Tags: Israel

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